Telemann weilte einmal von Sorau aus in Pleß und Krakau (Krakow), aber ohne daß er es konkret datiert hätte: „Als der Hof sich ein halbes Jahr lang nach Plesse, einer oberschlesischen, promnitzischen Standesherrschafft, begab, lernete ich so wohl daselbst, als in Krakau, die polnische und hanakische Musik, in ihrer wahren barbarischen Schönheit kennen.“ Zu der Zeit-
angabe „ein halbes Jahr lang“ sei bemerkt, daß sie im Zusammenhang mit dem Aufenthalt des Hofes gemacht wurde und man nicht unbedingt davon ausgehen muß, daß auch Telemann sich ein halbes Jahr in Pleß aufhielt. Die für den Zeitraum 1704 bis 1708 gesichteten Pleßer Quellen belegen aber einen solchen langen zusammenhängenden Aufenthalt des Hofes in Pleß nicht: Beispielsweise ist sowohl 1704, als auch 1706, zwar eine ununterbrochene Anwesenheit des Hofstaates für drei Monate hintereinander festzustellen, nicht aber für ein halbes Jahr. Vielleicht ist diese Zeitangabe nicht real, sondern nur metaphorisch gemeint.
Unwahrscheinlich aus bereits beschriebenen Gründen ist, daß Telemanns Reise nach Pleß schon 1704 geschah. Zwar war der Reichsgraf mit seinem Hofstaat von Mai bis Mitte August tatsächlich in Pleß (einmal verreiste er dabei nach Bielitz, poln. Bielsko), aber Telemann war im Zusammenhang mit seinen Bewerbungen um das Amt des Directors musices an der Leipziger Neukirche am 8. August 1704 (der eigenhändige Brief Telemanns datiert aus Leipzig) und am 7. September (Orgeleinweihung durch Telemann), sehr wahrscheinlich aber auch am 18. August und 1. September in Leipzig. Insofern sind gewisse Zweifel hinsichtlich der Information auszusprechen, daß Telemann im August desselben Jahres Quartier im Sorauer „Hotel de Pologne“ genommen habe. Die Annahme, daß Telemann die polnische und hanakische Musik noch Anfang August 1704 durch vom Hof in Pleß für ihr Spiel bei der Weizenernte auf dem nahen Gut in Seidlitz (Siedlice) bezahlte Musikanten gehört haben könnte, dürfte demzufolge nicht richtig sein. Fur das Jahr 1705, in welchem die Hochzeit Erdmanns II. von Promnitz mit der Prinzessin Anna Maria von Sachsen-Weißenfels am 16. Juni in Sorau stattfand, aber das Pleßer Schloß renoviert wurde, gibt es gar keine Hinweise in den Pleßer Archivalien auf die Anwesenheit des Reichsgrafen in seinem Pleßer Besitztum. Damit ist auch ein Aufenthalt Telemanns unwahrscheinlich. Er ist übrigens in der Zeit um den 28. Juni 1705 von Sorau aus in Berlin.
Auch für einen Besuch Telemanns in Pleß im folgenden Jahre 1706 sind gewisse Zweifel angebracht. Tatsächlich hielt sich der Hof in dem längeren Zeitraum vom 17. Mai bis 23. August hier auf (was allerdings nicht sechs, sondern eben nur 3 und 1/2 Monate bzw. 14 Wochen sind – vielleicht aber weilte der Hof schon einige Zeit vorher in Breslau, denn die Notiz in den Pleßer Archivalien spricht davon, daß der Hof von dort nach Pleß kam), und nachweisbar von dort aus auch in Krakau (hier Anfang Juni 1706).
Dies ist jedoch vor dem Hintergrund des Nordischen Krieges und der schwedischen Truppen, die im Zuge der Besetzung Sachsens 1706/07 auch in die Niederlausitz kamen, zu betrachten. Die feindlichen Schweden rückten nämlich 1706 über Fraustadt (Wschowa) (Schlacht bei Fraustadt am 2./13. Februar 1706) und Breslau nach Sachsen vor, überschritten am 27. August 1706 die sächsische Grenze, besetzten das Land und zwangen den sächsischen Kurfürsten und polnischen König August II. zum Frieden von Altranstädt (24. September 1706) und zum Verzicht auf die polnische Krone (bis 1709). Russische Truppen zogen im Herbst 1706 von Polen indes auf die Schweden zu. Ende Oktober 1706 trafen sie dann bei Kalisch (Kalisz) aufeinander, wobei die Schlacht einen vernichtenden Sieg der Russen über die Schweden einbrachte. Dennoch ratifizierte August II. im Dezember 1706 den Friedensvertrag mit Schweden, und Sachsen scherte aus dem Krieg aus.
Zwei nicht konkret datierte Ereignisse sind in diesen Zusammenhang zu bringen. Zu Beginn dieser turbulenten Zeit – aus nachfolgendem Zitat ist das Jahr 1706 zu schließen – floh die Gräfin Anna Maria von Promnitz (geborene Prinzessin von Sachsen-Weißenfels) zusammen mit ihrer Kammerjungfer Amalie Louise Juliane Eberlin (Telemanns späterer Gattin) vor den Schweden, offensichtlich von Sorau aus, südwärts nach Schlesien, das damals habsburgisch war. Telemann aber wandte sich nordwestwärts, nämlich nach Frankfurt an der Oder, derzeit preußisch: „Bey dem Einfalle der Schweden [in Sachsen und die Niederlausitz, also Ende August 1706], nahm die weißenfelsische Prinzessin, Anna Marie, vermählte Gräfinn von Promnitz, auf der Flucht nach [!] Schlesien, die Eberlininn mit sich. Herr Telemann aber kam glücklich hindurch nach Frankfurt an der Oder.“